Gemma O'Connor, in Dublin geboren, in Frankreich und Irland aufgewachsen, war
unter anderem Stewardess, bevor sie mit dem Schreiben begann. Mit "Die
Frau auf dem Wasser" hatte sie in Deutschland ihren ersten Bestseller.
Sie lebt heute mit ihrem Mann in der Nähe von Oxford.
Um zwei Missverständnissen von Anfang an vorzubeugen: "Der irische
Inspektor" ist kein Kriminalroman und der Titel scheint eine unglückliche
Verlegenheitslösung des Verlags gewesen zu sein. Dabei gibt der englische
Originaltitel ("Following the Wake") genau das wieder, worum es in
dem Roman geht, nämlich um eine sehr persönliche Spurensuche, um das
Erforschen der eigenen (mysteriösen) Biographie der Hauptperson Gil. Und
doch ist es nicht nur das.
Es werden mehrere Ebenen miteinander verflochten: Ebendiese Suche von Gil, die
Ankündigung eines Verbrechens durch einen Zeitungsausschnitt am Anfang
des Buches, illustriert durch einen E-Mail-Wechsel zwischen zwei Journalisten,
und schließlich tritt noch ein außenstehender Erzähler auf,
der dem Leser weitere Informationen liefert. Und zu allem Überfluss nimmt
die Handlung Bezug auf ein Verbrechen, von dem die Autorin in ihrem Roman "Die
Frau auf dem Wasser" berichtet und das nie so richtig aufgeklärt wurde.
So wird der Leser der "Frau" auch in diesem Roman das vertraute Personal
wiederfinden: den damals ermittelnden Kriminalbeamten, nun Erfolgsautor und
Ehemann der Frau des damaligen vermeintlichen Mörders, ebenjene Frau, ihr
Sohn, der damals Zeuge des Verbrechens wurde, dem aber fast alle Erinnerung
an jene Zeit damals fehlt.
Nach der Beerdigung seines Großvaters mütterlicherseits macht sich
jener Gil fast heimlich auf, seine Vergangenheit an den damaligen Originalschauplätzen
zu erkunden. Ein erkenntnisleitendes Interesse ist, ob er wirklich ein "Mördersohn"
ist und ob er selbst etwas von jenem fast religiös von O'Connor
definierten "Schlechten" in sich hat.
Das gut gemeinte Verschweigen der damaligen Ereignisse durch seine Familie erweist
sich als zusätzlicher Antrieb der Suche nach der eigenen Biographie. Und
Gil wird schließlich auch Einiges über sich und seine "Umgebung"
in Erfahrung bringen.
Doch wenn der Leser meint, am Ende des Buches in Besitz einen vollständigen
und schlüssigen Biographie zu sein, so muss er das Buch doch enttäuscht
aus der Hand legen. Er wird mit demselben Gefühl der "Vagheit"
zurückgelassen, das schon O'Connors "Frau auf dem Wasser" auszeichnet.
Und das scheint mir die eigentliche Thematik Gemma O'Connors zu sein: die Vagheit
menschlicher Beziehungen und ihre verzweifelten Bemühungen, das unbeständige
Beziehungsgeflecht aufrechtzuerhalten, teils aus eigener Verunsicherung, teils
um den anderen nicht zu verletzen.
Und dann gibt es da noch das fast metaphysisch zu nennende "Böse",
personalisiert in jener Journalistin, die die "schlafenden Hunde"
der Verunsicherung nicht ruhen lassen will. Sind die Motive auch von jenen Gils
gänzlich verschieden, so ist das Ziel doch ein Ähnliches, nämlich
Licht in die Vagheit der Vergangenheit zu bringen. Und so kommt es schließlich
zur Katastrophe, denn das scheinbare stabile Gleichgewicht verträgt nun
einmal keine wie auch immer geartete Eindeutigkeit.
Auch wenn der Klappentext versichert, dass man "Die Frau auf dem Wasser"
nicht gelesen haben muss, dessen "lose Fortsetzung" "Der irische
Inspektor" ist, so zeigt die Lektüre doch etwas anderes. Einiges bleibt
einfach unverständlich ohne den anderen Roman. Auch wenn sich vieles wiederholt,
ist die Kenntnis der "Frau auf dem Wasser" doch angeraten und vielleicht
auch Kalkül der Autorin.
Wer klare Handlungsführung, logisch nachvollziehbares Handeln des Personals
auf ein bestimmtes Ziel hin von einem sich als "Kriminalroman" ausgebenden
Buch erwartet, ist mit "Der irische Inspektor" schlecht beraten. Doch
wer eindeutigen Lösungen misstraut, wer die eigene Verunsicherung auch
literarisch reflektiert auszuhalten bereit ist und von einem Roman keine unmittelbare
Lebenshilfe erwartet, wird "Following the Wake" mit Gewinn lesen.
Gemma O'Connor: Der irische Inspektor. München: Piper Verlag 2003, € 13,